faust gymnasium

Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen

Letzte Kriegstage in Staufen. 04.07.2014

Zeitzeugen-Abend im Staufener Stubenhaus  

Am Freitagabend 18 Uhr, 4. Juli, veranstalteten die Schulstiftung des Faust Gymnasiums und die Stadt Staufen einen Abend im Stubenhaus mit Zeitzeugen des Kriegsendes in Staufen.

Auf dem Bild links der ehemalige Stadtrat Guido Mayer, Träger der Staufener Bürgermedaille, 1932 geboren und rechts der Kunsthistoriker Prof. Schlegel aus Stuttgart, 1923 geboren,  als ehemaliger junger Offizier einer Pioniereinheit berichteten in einem Podiumsgespräch über die letzten Kriegswochen in Staufen und die Problematik des Befehls, die gusseiserne Brücke -heute am Café Decker-beim Herannahen des französischen Militärs Ende April 1945 zu sprengen.

Vor dem Podiumsgespräch wurden die zahlreiche Zuhörer - trotz des Fußballspieles Deutschland gegen Frankreich - im gut besetzen  Stubenhaus-Saal in die militärische und sozialpolitische Situation eingeführt durch einen Vortrag von Dr. Heinrich Schwendemann vom Historischen Seminar der Universität Freiburg, der mit Bildern, Karten und Texten aufzeigte, wie sich im Elsass und Südbaden die letzten Kriegswochen entwickelten. Staufen wurde am 8. Februar 1945 fürchterlich bombardiert, fünfzig Häuservollkommen zerstört und weitere hunderte schlimm beschädigt. Besonderen Wert legte er auf die Tatsache, dass die Durchhalteparolen von Gauleitern und SS Verbänden, bis zur eigenen Vernichtung durchzuhalten und zu kämpfen, in der Bevölkerung keinen Widerhall mehr fanden. Hitlers Leitlinie "Halten der Stellung oder Vernichtung" sei Grundlage von Propaganda und militärischen Befehlen bis zum Kriegsende geblieben. Aber weder Ausrüstung noch Waffen noch Munition waren für militärische Auseinandersetzungen ausreichend vorhanden. Die 19. Deutsche Armee muss sich in die oberrheinische Tiefebene zurückziehen, es fehlt Sprit für Panzer und Lastwagen, die NS Propaganda fordert "Kampf bis zum letzten Mann" 16 Jährige werden rekrutiert, die ohne Waffen Gräben gegen Panzen ausheben müssen, Südbaden wird Front und alliierte Tiefflieger zielen sogar auf Menschen, die auf Feldern arbeiten.  Um den Rückzug aus dem Elsass zu organisieren und abzudecken, sollten alle Brücken gesprengt werden, was militärisch sinnlos war, da Panzer z.B. den Neumagen - Bach auch ohne jede Brücke problemlos hätten durchqueren können; nur die eigene Bevölkerung habe darunter gelitten. In dieser Lage habe sich der Terror gegen die eigene Bevölkerung und auch die Soldaten brutal gesteigert. Die politische wie die militärische Führung habe jedes Verantwor­tungs­gefühl vermissen lassen. Frauen hatten in vielen Fällen gefordert, sinnlose Schanzarbeiten einzustellen oder sie hätten sogar verlangt, dass das deutsche Militär abziehen solle.  - Für die Bevölkerung sei das Kriegsende mit der Besetzung durch französische Kolonialtruppen kaum Erleichterung gewesen, weil Plünderungen, Zerstörungen und Vergewaltigungen wochenlang angedauert hätten. Allerdings habe es später auch viele freundliche Nordafrikaner gegeben, die sich gemeinsam mit der deutschen Bevölkerung gegen den harten Kurs der Besatzungsmacht gegenüber Soldaten und Bewohner gewendet hätten.  

Ein zweites Referat hielt Dr. Wiese, ehemals Studiendirektor am Faust-Gymnasium in Staufen. Anhand einer beeindruckenden Bilderserie (vom ehemaligen Tageblatt, aus dem Stadtarchiv, von Staufener Bürgern) entwickelte er die politische Situation während der Zeit des Nationalsozialismus in Staufen mit der Steigerung des Einflusses der Partei, die machtgierig demokratische Mehrheiten in arroganter Weise  ignorierte, Posten mit Parteianhängern besetzte und natürlich alles gleichschaltete. Die eigene Staufener Zeitung, die besonders mutig gewesen war, wurde verboten, nach und nach die Kirchengemeinden terrorisiert, böswillig und arrogant bis dahin, dass ein Pfarrer morgens um sieben in Badenweiler erscheinen und sich wegen einer Lächerlichkeit verantworten musste. Die NS Führung in Staufen versuchte im Krieg auch, eine vernünftige Behandlung von Gefangenen durch eigene Parteigenossen zu untersagen. Dass Amtsträger in Uniformen des Nationalsozialismus menschliche Seiten zeigten, die durchaus die Bevölkerung auch gegen Willkür schützten, wurde beim Referat deutlich; Bürgermeister Ilich ging z.B. in Schwarzer Parteiuniform bei kirchlichen Veranstaltungen voran. Heimlich habe ein Pfarrer - getarnt als Kirchenbuch - die Ereignisse tagebuchmäßig vermerkt. Wäre dieses Tagebuch entdeckt worden, hätte dies dramatische Folgen gehabt. - Schließlich haben SS-Angehörige einen Geistlichen, Dekan Strohmeyer aus dem Münstertal entführt und erschossen.

Die anschließende Podiumsdiskussion geleitert von Herrn Schneggenburger, dem ehemaligen Leiter des SWR Studios in Freiburg, mit Professor Schlegel und Stadtrat Guido Mayer entfaltete ein Panorama aus Eindrücken einerseits des Jugendlichen Guido Mayer, der nicht zur Schule musste, weil sie geschlossen war und der miterlebte, wie tausende deutscher Soldaten aus dem Elsass gekommen im Rückzug befindlich in Staufen waren, als die fürchterlichen Bombenangriffe im Februar die Innenstadt zerstörten. Zwischen Abzug der deutschen Soldaten Richtung Münstertal und vor dem Einzug französischer Truppen habe die Bevölkerung die Lebensmittellager der SS und der Wehrmacht leeren können, sodass für viele Wochen Lebensmittel-Vorräte möglich wurden. Er schilderte zudem eindringlich, wie Fremdarbeiter und Gefangene in Staufen lebten und behandelt wurden und dass nach Kriegsende willkürlich Männer auf Lastwagen gezwungen wurden, um nach Frankreich zur Zwangsarbeit verfrachtet zu werden. Einem französischen Gefangenen, der beim französischen Besatzungsoffizier intervenierte, sei es zu verdanken, dass Staufener Männer wieder vom Laster steigen durften, weil dieser Gefangene sich verbürgte, dass alle Gefangenen in Staufen gut behandelt worden seien. Er habe auch beobachtet, wie die Neumagenbrücke von deutschen Soldaten bewacht worden sei und dass Sprengvorrichtungen ebenfalls erkennbar gewesen seien. 

Professor Schlegel, damals junger Leutnant und Leiter eines Pionier-Bataillons musste in den letzten Kriegswochen, bevor er nach Staufen verlegt wurde, am Rhein simulieren, es gäbe noch starke deutsche Militäreinheiten , indem sich seine  Soldaten  nachts mit Booten heimlich über den Rhein "schlichen" und irgendwo Zeitzünder - Bomben legten, die kraftvolle Präsenz zeigen sollten.  - Ein Befehl erreichte ihn zudem, die Brücke in Staufen bei Feindannäherung zu sprengen. Er musste Vorbereitungen anordnen und die Brücke bewachen lassen. Dies sei auch argwöhnisch von  SS-Angehörigen kontrolliert worden. Zitat prof. Schlegel: "Es gab einen Befehl, die Brücke beim Café Decker zu sprengen, aber ich war mir mit dem Bürgermeister einig, die Brücke zu erhalten."  

Von der Zivilverwaltung sei an ihn der Vorschlag gemacht worden, mit Privatkleidung versorgt in die Wälder zu fliehen; was nicht nur wegen der Überwachung, sondern auch wegen fehlender Entlassungspapiere zu schlimmsten Entwicklungen hätte führen können, da Soldaten, selbst in Zivilkleidung, die von der ihrer Einheit entfernt ohne Dokumente aufgegriffen, standrechtlich erschossen worden wären. Besonders tragisch sei, so berichteten beide Zeitzeugen, dass ein Melder, der das Herannahen französischer Militäreinheiten von Krozingen ostwärts Richtung Staufen melden wollte, verwundet wurde, nicht lebensgefährlich, aber ohne ärztliche Versorgung blieb und dann doch wegen seiner Wunden verstarb. Ein anderer Melder musste zwischen Münstertal, wo die deutschen  Pioniere ostwärts verlegt worden waren, und Staufen pendeln, um zu beobachten, was sich an der Brücke entwickeln würde. - Die Brücke wurde allerdings von französischen Soldaten unbemerkt von den deutschen Wachsoldaten umgangen; die Franzosen konnten von Osten her die bewachenden Pioniere überwältigen und sie gefangen nehmen. -  

Mit auf dem Podium diskutierte Dr. Martin, emeritierter Prof. am Historischen Seminar in Freiburg, der das Kriegsende mit seinen Gräueln im Osten Deutschland miterlebt hatte und der darauf hinwies, dass die  gemeine und die Menschenwürde missachtende Verhalten der marokkanischen Soldaten als Besatzer auch durch nordafrikanische Stammestraditionen der Kriegsführung zu erklären sei.  Brutalitäten sowjetischer Soldaten gegen die Zivilbevölkerung seien ebenso grässlich und auch wesentlich länger gang und gäbe gewesen.  

Das Gespräch leitete souverän und bestens vorbereitet mit weitgespanntem Wissen über die Zeit des Kriegsendes der ehemalige Leiter des SWR-Studios in Freiburg, Claus Schneggenburger.          

Ihm gelang es, die vielfältigen und Detail-reichen Erinnerungen der Zeitzeugen zu bündeln, die passenden, wichtigen Anschlussfragen zu stellen und zum Schluss hin auch die Zuhörer im Stubenhaus in die Gespräche einzubeziehen. Leider konnte  aus zeitlichen Gründen der Gesprächsteil nicht ausgedehnt werden. Die Zuhörer applaudierten anhaltend den Teilnehmern der Podiumsdiskussion.  Dr. Wiese wird zusammen mit anderen Teilnehmern wahrscheinlich im Herbst dieses Jahres einen ausführlicheren Vortrag vorbereiten zum Thema: Nationalsozialismus und Kriegsereignisse in Staufen.

(H. Deutrich)