„Können wir Ihnen helfen? Suchen Sie jemanden?“ Irritiert zeigt sich die Klasse 9c als am 16. März plötzlich eine fremde Frau mit ausländischem Akzent in ihr Klassenzimmer platzt und aufgebracht vor sich hin redet und flucht. Auch die Lehrerin, Frau Gier, verhält sich nach anfänglichen Hilfeversuchen komisch – anstatt die Fremde freundlich hinauszugeleiten, überlässt sie dieser die Bühne und zieht sich in den hinteren Bereich des Klassenzimmers zurück. Immer wieder drehen sich die Köpfe, fragende Blicke suchen Halt bei der Lehrerin. Was die Schülerinnen und Schüler zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: sie befinden sich gerade inmitten eines interaktiven Theaterstücks.
Das Freiburger Klassenzimmertheater macht sich den Überraschungseffekt zunutze und spielt mit der Grenze von Fiktion und Realität. Dieser Effekt konnte nur dadurch zustande kommen, dass sich der Förderkreis dankenswerterweise im Vorfeld bereit erklärt hatte, die Finanzierung des Theaterstücks, vollständig zu übernehmen. Im Stück „MIA“, das von der Schauspielerin Natalia Herrera aufgeführt wird, werden Problemfelder rund um das Thema Flucht angesprochen, weshalb es sich thematisch in den laufenden Gemeinschaftskundeunterricht einfügt. Gewinnbringend ist das Stück jedoch vor allem durch seinen emotionalen Aufforderungscharakter. Während des interaktiven Theaterstücks wird die 9c nicht nur mit persönlichen Schicksalen, sondern auch mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. Die Analogie ist offenkundig: So wie die Schülerinnen und Schüler der 9c gezwungen sind, auf die Fremde zu reagieren, die in den geschützten Raum des Klassenzimmers eindringt, so müssen wir alle uns mit den Flüchtlingen, die zu uns nach Deutschland kommen, auseinandersetzen.
Die fesselnden persönlichen Geschichten, die „Mia“ der 9c berichtet, sorgen für Betroffenheit und Anteilnahme. Als „Mia“ schließlich das Klassenzimmer verlässt, klatschen manche Schülerinnen und Schüler – noch immer unsicher darüber, wie sie das, was sie in den vergangenen 45 Minuten erlebt haben, einordnen sollen. Als Frau Herrera schließlich erneut das Klassenzimmer betritt, die Situation aufklärt und sich – nun akzentfrei – den Fragen der Schülerinnen und Schüler stellt, gibt es kein Halten mehr: „Platzen Sie immer einfach so in fremde Klassenzimmer?“, Waren die Geschichten wahr?“, „Sind Sie ein Flüchtling?“.
Neben der Gelegenheit, Fragen zu stellen, bietet das gemeinsame Gespräch auch den Raum, die eigenen Gefühle zu verarbeiten: „Boar, ich hatte am Anfang richtig Angst vor Ihnen“, „Ich war total verunsichert, weil ich die ganze Zeit nicht wusste, ob das gerade echt ist oder eine Art Theaterstück“. Einig sind sich die Schülerinnen und Schüler dabei alle in einem Punkt: So nah und greifbar haben sie sich noch nie mit den Schicksalen von Flüchtlingen auseinandersetzen und eigene Vorurteile überdenken müssen. Daher war MIA für alle Beteiligten ein voller Erfolg.