Es muss schon etwas Krasses sein - sonst hat es keine Gültigkeit in einer Welt, in der alles glänzt. Die Schönen und Starken, die Harten und Klugen stehen vorn an der Rampe und geben den Ton an. Schwäche zeigen nur Verlierer, Fragen stellen gilt nicht, traurig sein ist nicht erlaubt (gibt Augenringe!) und man darf keine Pause einlegen im Wettbewerb um die perfekte Erscheinung - diese Lektion haben sie schon gelernt, seit sie ein Smartphone in der Hand halten können. Sie versuchen nach Kräften, alle ihre Zweifel daran mit Fitnesstraining, Ernährungsoptimierung und phrasenhafter Selbstbeschwörung zuzudecken, genau so, wie es ihnen die Erwachsenen und die Verkäufer von Plastikleben im Internet vorleben und vortäuschen. Und wenn ein Problem auftaucht, fragen sie in der Netzwelt, aus der ihnen höhnische Besserwisser vergiftete Ratschläge geben.
Aber kein Concealer deckt so gut ab, dass er die Fragen und Zweifel der Jugendlichen vertuschen kann. Sie sind verstrickt in die Welt des Internets und wissen zugleich ganz genau, dass diese Welt aus Lügen besteht. Und so versuchen sie, ihre Verstrickung in diese Welt irgendwie zu lösen. Es muss etwas passieren, bei dem man sich selbst wieder spüren kann. Sie wollen ein Zeichen setzen.
Die beiden Ensembles der Theater-AG am Faust-Gymnasium unter der Leitung von Tobias Bubeck und Martin Steen-Tolle haben in ihrer Produktion „Chatroom“ auf beeindruckende Weise gezeigt, wie intensiv sie sich mit dem Selbstoptimierungswahn der Gegenwart auseinandergesetzt haben.
Im ersten Teil der Aufführung zeigen die Schauspieler des jüngeren Ensembles mit kurzen z.T. selbst geschriebenen Szenen, was in Fitnessstudios und auf YouTube-Kanälen Alltag ist. Die schauspielerische Leistung der 8.-10.-Klässler ist hier auch dadurch beeindruckend, dass sie mutig und mit viel Körpereinsatz direkt ins Publikum gehen. Wenn der Influencer Suschi Heber in seinen Muskelbody schlüpft und seine Verkaufssprüche für Proteinpulver ins Publikum dröhnen lässt oder wenn Jule ihren Beauty-Kanal in Großaufnahme mit Tipps zum Stichwort „Perfektion“ füttert, während sie gefilmt wird, ist das nicht nur witzig, sondern leider auch bestürzend nah an der Realität.
Ebenso beeindruckend authentisch zeigen sich die Schauspieler im zweiten Teil von „Chatroom“, wo letzten Endes nur durch den Mut und die Ehrlichkeit einer einzelnen Person das Schlimmste, nämlich der Selbstmord einer der Figuren, die verzweifelt Rat suchen, abgewendet wird. Es gelingt, die virtuelle Chatroom-Blase, in der sich Hass und Verletzung in wüsten Beschimpfungen steigern, endlich zu durchbrechen - indem zwei Menschen den Chatroom verlassen und sich begegnen - analog. Das ist das Krasseste.
So kann man nur spielen, wenn dem Spiel viel Arbeit und Reflexion vorausgegangen ist. Die Theater-AG hat eine beeindruckende Aufführung erarbeitet, in der jeder einzelne Schauspieler vollen Einsatz und überzeugende Bühnenpräsenz zeigt. Bravo!
Weiteres Highlight der Aufführung ist die Live-Band mit Schüler*innen des Faust-Gymnasiums, die mit den Songs „ Creep“ von Radiohead und „Teenage dirtbag“ von Wheatus die durchaus quälende Suche der Teenager nach sich selbst akustisch kraftvoll abbilden.
TheaterAmFaust mit:
Emil Tolles (8a) Enya Lindfeld (8e) Marie Loriaux (9a) Felix Schroth (9b), Jonathan Brandt, Adrian Herz, Isabella Jogwitz, Linet Knaack (alle 9c) Moritz Müller (10b) Stella Schuhmann (10d) Joshua Kanzaria (J1)
Band mit:
Maxima Duncker (Gesang)
Liam Kiefer (Bass)
Kaiden Suiter (Schlagzeug)
Juniel Meyndt (Gitarre)