faust gymnasium

Nach dem Diener

Nachlese toller Theaterabende

Tritt da Karl Valentin persönlich auf die Bühne? Fast könnte man es meinen, als der Doktor (Martin Nellis-Kohl) im Anzug und mit sagenhaften Storchenbeinen eckig und umständlich auf die Bühne tritt. Federico Rasponis (Linet Knaack) schwarzglänzende Vokuhila-Matte wippt lässig, er trägt Pokerface, aber mit der nötigen Italianità und gerolltem Rrr - natürlich sitzt ihm das Messer locker. Blondina (Isabella Jogwitz) mit dem rosa Haar staubt zum hundertsten Mal stoisch die Lampe ab, ihre Sprüche trockener als ihr Staubtuch, während der knausrige Gundolf (Moritz Müller in exzellentem Schwäbisch) motzt, was das alles kostet und dabei extra in jedes Fettnäpfchen tritt mit seinen Zoten, um dann schnell wieder den armen Alten zu mimen.

Aber niemand schaut so wild-dramatisch wie Rosi (Marie Loriaux), Gundolfs Tochter, mit blonder Mähne und exzentrischer Stola! Wir sehen weiter Siegfried (Felix Schroth), den feurigen Sohn des Doktors, dem der Gaul ganz schnell mal durchgeht, und den romantischen Florian (Jonathan Brandt), der Hang zu ganz großen Gefühlen hat. Zwischen diesen wuselt der stets hungrige Diener (als zwei Rollen gespielt von Emil Tolles und Jonathan Heitzmann), der sich mit seinem Alter Ego rasant die Bälle zuwirft.

Zur großen Erheiterung der Zuschauer bietet dieses Schauspiel-Team lauter Typen auf, die schon beim ersten Schritt auf die Bühne für Erheiterung sorgen. Später fliegen dann die Klamotten aus der „Hochzeitssuite“ in Andeutung der ‚unerhörten‘ Liebesbeziehung zwischen Rosi und Siegfried auf die Bühne -  und die Komödie entfaltet sich rasant

Fangen wir beim Haarstyling an. Grandiose Perücken kann jeder aufsetzen - aber nicht jeder kann mit diesen Dingern, die alle extra etwas derangiert getragen werden, gekonnt auf einen hohen Sprungbock hüpfen und selbstbewusst einen Witz raushauen - und zwar einen Witz, der sitzt! Man muss nämlich eine Perücke auch bespielen können - das hat die Theater-AG schon mal bestens hingekriegt. Die Schüler und Schülerinnen lassen die Zuschauer ihre umfassende Spiellust spüren, rücken sich die Mähnen zurecht und geben in ihrer Rolle alles – im Saal herrscht gute Laune!

Ein gekonnter Rahmen für diese lebendige, schöne Aufführung sind die stilisierten Commedia-del‘Arte-Zitate mit Masken und Tänzchen am Anfang und Ende. Die verschiedenen Erzähl-Ebenen werden eindrucksvoll durch die Licht-Regie des jungen Technik-Teams in Szene gesetzt: Eine Rückblende, die weder in Goldonis Original noch in von Düffels Adaption enthalten ist, rekonstruiert Schritt für Schritt in grandios überzeichneten Bildern – durch den facettenreichen Synchron-Sprecher Luca De Ieso zum Leben erweckt –  den Ursprung aller Verwicklungen des Stücks. Die unerwünschte Verlobung Beatrices mit dem Deutschen Florian ist sozusagen die Ur-Szene aller folgenden Verwicklungen und Irritationen, die sich im „Wirtschaftswunderdeutschland“ der 70er Jahre, dem zeitlichen Kontext des Stücks in der Fassung John von Düffels, aus der  Begegnung mit den (damals noch herbeigerufenen, jedoch nicht minder kritisch beäugten) Gastarbeitern ergeben.

Und es geht bunt und munter weiter: Die mit Inbrunst angesungenen Schlager-Intermezzi, welche die Gefühlslagen der Figuren mit einer gehörigen Portion Ironie und gekonntem Slapstick kommentieren,  brechen genau dann ab, bevor jemand ernsthaft mitsingen kann, also: vor der Schnulz-Grenze. Ausgewählte 70-er-Jahre-Details bei Kostümen und Kulisse sind wirklich witzig (z.B. das drastische orangene Tischtuch, das immerzu verrutscht, die Blumenvase, die dauernd runterfällt). Die Inszenierung bringt Anspielungen auf Volkstheater, Stegreifkomödie, Clownerie als Spielelemente für ihre Schauspieler, die das alles mit einer beeindruckenden Leichtigkeit umsetzen – ein großes Vergnügen mit Stehlampe, Sprungbock, Koffer, Pappmesser und herrlich fettig glänzendem Braten, die Kemal, der Diener mit mehreren Jobs, immer nur servieren, aber nie essen darf.
Langer, satter Applaus in der Aula beschließt die vierte gelungene Aufführung des Stücks am Samstagabend.